Inklusion ist kein Service: Transformative Arbeitsräume

Angela Alves

Hallo, mein Name ist Angela Alves. Ich spreche aus einer weiblichen, weißen Crip-Perspektive. Elena Basteri hat mich gebeten, für diese Website ein Statement zu verfassen. Elena ist eine der vier Frauen des Kernteams, weitere fünf Personen haben das Projekt als „erweiterte Teammitglieder“ begleitet. Ich bin eine davon und für den „Schwerpunkt Inklusion/Barrierefreiheit“ verantwortlich. Meine Aufgabe war und ist es, den Arbeitsprozess in Sachen Barrierefreiheit beratend zu begleiten und mitzugestalten.
Ich möchte den Raum für ein Statement gerne nutzen, um diese Position rückblickend zu reflektieren:

 

Was bedeutet es, eine Person mit im Team zu haben, die das Projekt mit Blick auf Inklusion und Barrierefreiheit begleitet? Welche Aufgaben und Verantwortungen fallen auf allen Seiten an? Wie viel Inklusionsprozess ist unter den vorgegebenen Arbeitsstrukturen möglich, und von welchen Bedingungen hängt eine gelungene Inklusionsarbeit ab?
Diese Fragen können hier natürlich nicht in der Tiefe geklärt werden, aber ich will zumindest eine kleine Annäherung versuchen, die auf die ein oder andere Weise hilfreich sein kann.

 

Das „Tanzvermittlungszentrum“ ist eine Zukunftswerkstatt, die sich der Neu-Ausrichtung eines Arbeitsfelds verschrieben hat, das sich noch im Entstehen befindet.
Die Steuerungsgruppe will zunächst herausfinden, was Tanzvermittlung ist und sein kann, wie Tanzvermittlung in Berlin verstanden wird, wo und wie sie stattfindet und vor allem, was sie noch braucht.
In den letzten 15 Monaten wurden dafür eine breite Umfrage sowie gezielte Expert*inneninterviews erstellt, durchgeführt und ausgewertet, es fanden mehrere öffentliche und halböffentliche Veranstaltungen statt, und in Labs, Workshops und Panels wurde Diskurs produziert, analysiert, dokumentiert und für verschiedene Zieladressaten repräsentativ aufbereitet. All das fand in Pandemiezeiten, mit einem frisch zusammengewürfelten Team und unter prekären Arbeitsbedingungen statt.

 

Für mich war die Zusammenarbeit mit der „Steuerungsgruppe Tanzvermittlung“ eine der ersten Erfahrungen außerhalb eines geschützteren Arbeitsraums, wie ich ihn als behinderte Künstlerin in Kooperationsprojekten mit „Making a Difference“ oder den Sophiensaelen kennengelernt hatte, und durch die ich in den normativen Tanzbetrieb hineingeschleust wurde. Als ich 2019 meine Zusammenarbeit mit den Sophiensaelen begann, war dort bereits seit mehreren Jahren ein machtkritischer, diskriminierungssensibler und inklusiver Transformationsprozess in Bewegung. Dieser Aspekt ist wichtig, wenn man die Bedeutung einer behinderten Choreografin in der Rolle der „Inklusionsexpertin“ innerhalb des Tanzvermittlungsprojekts verstehen will.

 

Als die gemeinsame Arbeit mit der Steuerungsruppe für ein künftigen Berliner Tanzvermittlungszentrum begann, hatte sich das Team gerade erst zusammengefunden. Ich war die einzige behinderte Person in einem ansonsten nicht-behinderten Team.

Zum einen ging es uns um die barrierefreie Planung der Aktionen (Umfragen, Interviews und Veranstaltungen) und zum anderen um barrierefreies Arbeiten im Team.

 

Barrierefreiheit ist das Schlüsselwort.

Barrierefreiheit ist, wenn niemand mehr einbezogen werden muss, weil niemand mehr ausgeschlossen wird.

 

Wer Inklusion will, muss im Grunde nur drei Dinge tun:

  • Zugänge schaffen für Menschen, die bisher ausgeschlossen wurden
  • Neugierig sein und Zuhören, Bereitschaft zeigen, sich kritisch hinterfragen zu lassen
  • Raum für Re-Organisation schaffen

Es ist jedoch keineswegs so, dass ich in einem perfekt funktionierenden inklusiven Arbeitsfeld gelernt habe, wie das geht, und dieses Wissen nun einfach in andere Räume übertragen könnte. Inklusion ist ein kollektiver Prozess. Und auch die Sophiensaele sind noch mitten in der Transformation begriffen. Die vorgegebenen Strukturen sind dort genauso hart und unwissend wie überall sonst. Aber diese Institution erkennt ihre Unwissenheit an und macht dem Tanzbetrieb das Angebot, ihre eigenen Strukturen mithilfe jener Menschen verändern zu lassen, von denen sie über die Anfälligkeiten derselben lernen können: Wenn man wissen will, wo die Barrieren sind, fragt man am besten diejenigen, die mit ihnen zusammenprallen.
Dieses Frage- und Antwortspiel im Namen der Inklusion ist aber leider hochkompliziert. Allein der Kommunikationsraum ist in vielerlei Hinsicht sensibel und störanfällig, denn er steht stets unter der Spannung des Mangels. Es mangelt auf allen Seiten an praktischen, emotionalen und psychischen Ressourcen. Es mangelt an Zeit, Sensibilität und Kommunikationskompetenzen. In diesen Kommunikationsräumen müssen Menschen, die permanent am Rand des Burn-Outs agieren, mit denjenigen sprechen, die gelernt haben, sich so gut wie möglich an ableistische, klassistische und rassistische Strukturen anzupassen, um ihr Überleben zu sichern.

 

In der Psychologie gibt es den Begriff der adaptiven Präferenz. Er bedeutet ungefähr, dass das, was man für seine eigene freie Wahl hält, in Wahrheit das Resultat einer Anpassung an repressive Rahmenbedingungen ist. Ich frage mich, ob es im zukünftigen Inklusionsprozess darum gehen wird, adaptive Präferenzen zu entlarven und durch gelungene Kommunikation in eine Sozialchoreografie der gemeinsamen Bewältigung systematischer und internalisierter Diskriminierung zu übersetzen. Könnten solche spannungsgeladenen Kommunikationsräume als gemeinsames Coping verstanden werden, in denen Inklusion mit Care und Sustainability zu einer postkapitalistischen transformativen Praxis verschmilzt?

 

Transformationsbewusste Arbeitsräume suchen einerseits nach Menschen aus diversen marginalisierten Gruppen, weil sie deren adaptive Präferenzen als Wissen und transformative Sprengkraft auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft erkennen. Andererseits verstehen diese Räume, dass Inklusion keine Charity-Veranstaltung ist, sondern als ein Instrument des Widerstands gegen die immens repressiven Ausbeutungsstrukturen in Frage kommt, die der Kulturbetrieb trotz drohendem Zusammenbruch nicht müde wird zu reproduzieren.
Wer Inklusion in Auftrag gibt, muss es also wahrhaftig wollen. Es geht nur mit der kollektiven Lust auf eine zukünftige Kultur der Vielen und Gleichen. Dieses Wollen braucht darüber hinaus ein Verständnis von Inklusion, das nicht auf Barmherzigkeit fußt, sondern auf dem Willen zum kollektiven Widerstand gegen die geltenden repressiven Rahmenbedingungen von freischaffender Kulturarbeit.

 

Vier Mütter und freie Kulturarbeiterinnen, die in diversen anderen Projekten gleichzeitig arbeiten, haben der Stadt Berlin wie nebenbei eine Vision geschenkt und sind dabei auf allerlei Barrieren gestoßen. Sie haben insgesamt unzählige Überstunden angesammelt, an Sams- und Sonntagen gearbeitet, ihre emotionalen, psychischen und physischen Grenzen missachtet, sind mit Burn-Out ausgefallen und wieder zurückgekehrt, haben sich aneinander gerieben, geöffnet und aufgefangen. Darüber hinaus stellten sie sich einer kritischen Öffentlichkeit und ließen sich von einer „Inklusionsexpertin“ immer wieder geduldig spiegeln, warum die Arbeitsbedingungen dieses Projekts weder barrierefrei noch nachhaltig sind. Wenn ein Projekt so dermaßen auf Kante getackert ist, ist es für ein Team extrem schwer, Inklusion nicht nur als Service einer einzelnen Beauftragten umzusetzen und darüber hinaus auch noch auszuhalten, dass diese Person den Prozess bremst und behauptet, dass das jetzt nachhaltig und gut für alle ist.

 

Mittlerweile habe ich mehr Erfahrung in der Zusammenarbeit mit nicht-behinderten Teams gesammelt und einen klareren Blick auf das, was Inklusionsarbeit von da aus sein und leisten kann. Rückblickend ordne ich meine Aufgabe als „behinderte Inklusionsexpertin“ innerhalb solcher Teams als ein behutsames Einläuten und Anstoßen eines Transformationsprozesses ein.

 

Bereits in unseren ersten Gesprächen haben wir über die kollektive Dimension von Barrierefreiheit gesprochen und gemeinsam verstanden, dass Inklusion kein Service ist, der durch meine Position abgedeckt werden kann, sondern nur als ein gemeinsamer Prozess funktioniert. Dieser muss von allen Teammitgliedern unterstützt werden und kann auch dann leider nur scheitern, weil die Zeit zu knapp und die Erwartungen zu hoch sind.
Diese gemeinsame Denkbasis ist Grundvoraussetzung, bevor ich die Arbeit in einem Team überhaupt aufnehmen kann. Alles, was danach passiert, ist davon abhängig, in welchem Maße das Team ein transformatives Bewusstsein bilden kann und inwieweit es sich im Laufe des Arbeitsprozesses auch praktisch dazu entscheiden kann, sich auf eine gemeinsame inklusive Praxis innerhalb der vorgegebenen Strukturen zu einigen.
Ein Balanceakt, auf den sich Janne, Gabriele, Nora und Elena eingelassen haben, obwohl dafür so gut wie keine Ressourcen vorhanden waren. Dafür bin ich diesen tollen Frauen sehr dankbar, denn ich glaube, dass die gemeinsam entwickelten Ideen einer transformativen Praxis von Inklusion einen Einfluss auf das Konzept eines zukünftigen „Tanzvermittlungszentrums“ haben werden.